Research publications

18.10.2022

Entwicklung von Textilstrukturen mit materialintrinsischem Formänderungsvermögen für die regenerative Medizin (TexMedActor)

Yarns Fabrics Sustainability Technical Textiles Medicine

Abstract

Im IGF-Projekt 21022 BR/1 „TexMedActor“ wurden Gewebe auf Basis von Formgedächtnis- bzw. Elektroaktiven-Garnen entwickelt, die in der Lage sind, einerseits Defekte an Hohlorganen zu umschließen und andererseits durch Mikrobewegungen Zellen stimulieren zu können. Dafür wurden Einflüsse von Spinnverfahren und Materialzusammensetzung auf das Formgedächtnisverhalten TPU-basierter Garne charakterisiert und insbesondere die Aktivierungstemperatur auf Werte der Körperkern- und Körperoberflächentemperatur eingestellt. Weiterhin wurde piezoelektrische PVDF-Garne entwickelt, deren Anteil polarer Kristallphasen durch die Spinnparameter und Nachbehandlung deutlich erhöht war, wodurch auch das piezoelektrische Verhalten des Materials gesteigert werden konnte. Damit konnten dynamische Veränderungen der Porengröße in situ nachgewiesen werden, die eine stimulierende Wirkung auf Zellen entfalten können. Die Ergebnisse bieten mit einem neuen Verfahren und einer neuen Produktgruppe (Textilien mit intrinsischem, aktivem Formänderungsvermögen) nicht nur bei Medizinprodukten ein hohes Innovationspotenzial, sondern auch bei einer Vielzahl von lukrativen Anwendungen in einer Vielzahl von Nischen, z. B. Sporttextilien und Filtertextilien. Diese können weiterhin als Basis zur Entwicklung von extrakorporalen Medizinprodukten wie Kompressionstextilien, Bandagen und Orthesen genutzt werden.

Report

Einleitung, Problemstellung und Zielsetzung

In Deutschland führt sowohl der demografische Wandel der Gesellschaft als auch Verletzungen infolge von Traumata zu einem hohen Anteil von Personen mit behandlungsbedürftigen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems oder Verletzungen an Gefäßen und inneren Organen. Zur Behandlung von Verletzungen an inneren Organen, Gefäßen oder Nerven sind meist komplexe Eingriffe (Anastomosen) erforderlich, bei denen aufwändige Fixierungen und Nahtführungen erforderlich sind. Diese komplizierten und aufwändigen Prozeduren sind häufig mit langen Eingriffszeiten verbunden, die wiederum direkt mit erhöhten Komplikationsraten korrelieren [1‑3]. Zur Überbrückung solcher Defekte werden zunehmend tubuläre Kunststoffimplantate entwickelt, die jedoch kein Einwachsen von Gewebezellen ermöglichen und damit dem Konzept der regenerativen Medizin entgegenstehen, das die Wiederherstellung von Körpergeweben und ‑zellen anstrebt. Darüber hinaus kommt es bei der Auffüllung der Defekte häufig zu Störungen der Regeneration durch die nicht an die Biomechanik angepassten strukturmechanischen Eigenschaften. Ferner verhindern die fehlende Interkonnektivität der Porenräume der Ersatzstrukturen das Einwachsen von Zellen, das Zellwachstum, die Nährstoffversorgung und den Abtransport der Stoffwechselprodukte.

Im Rahmen des in vitro Tissue Engineerings werden neben statischen Zellkultursystemen auch dynami­sche Systeme entwickelt. Diese basieren beispielsweise auf kontinuierlichen oder pulsierenden Flüssigkeitsströmungen oder auf einer zyklischen Dehnung des eingespannten Zellträgersystems bzw. der Unterlage [4]. Eine Nachbildung der natürlichen mechanischen Wachstumsstimuli ist mit solchen Bio­reaktorsystemen jedoch nicht möglich, da sich insbesondere in größeren Strukturen eine lokal erhöhte Strömungsgeschwindigkeit entlang der größten Durchgangsporen bzw. lediglich eine Überströmung des gesamten Zellträgersystems einstellt und in mechanisch stimulierten Systemen unerwünschte Spannungsspitzen und undefinierte Verzerrungen im Bereich der Klemmen und Auflagen auftreten.

Da der native Aufbau der vier wichtigsten Gewebetypen (Binde- und Stützgewebe, Nerven-, Muskel- und Epithelgewebe) aus denen Organe, wie Knochen, Blutgefäße, Muskeln, Sehnen und Bänder, gebildet sind, aus faserartigen Konstrukten besteht, lassen sich diese mit textilen Strukturen besonders gut biomimetisch nachbilden. Mithilfe vorbedachter Faseranordnungen können dreidimensionale, kom­plexe Geometrien mit interkonnektierenden Porenräumen aufgebaut werden, an der sich Zellen in ihrer Wachstumsrichtung orientieren können [5]. Deshalb sind faserbasierte High‑Tech Strukturen zur Überwindung der Limitationen aktuell verfügbarer Implantate besonders prädestiniert.

Daher wurden im Rahmen des IGF-Forschungsvorhabens TexMedActor (21022 BR/1) neuartige Textilstrukturen mit materialintrinsischem Formänderungsvermögen für die regenerative Medizin mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Anwendungsfeldern, insbesondere der Anastomose, entwickelt. Das verfolgte Konzept sieht hierbei die textiltechnologische Realisierung von Strukturen mit einem Formgedächtniseffekt vor. Die Textilien sollen gezielt vorbestimmte Geometrien annehmen können, um sich an Defekte interaktiv anzupassen und um komplexe Eingriffe zum Überbrücken bzw. zum Stützen von Defekten an inneren Organen wie Gefäßen und Nerven zu vereinfachen. Ein weiterer Wirkmechanismus soll darüber hinaus die elektromechanische Stimulation mit dem Ziel der aktiven, gezielten Anregung des Zellwachstums ermöglichen. Somit soll die Regeneration beschleunigt bzw. überhaupt erst ermöglicht werden, da die erforderlichen Stimuli zur gewebe- und zellangepassten Wachstumsanregung insbesondere bei schwach bzw. nicht durchbluteten Körpergeweben, wie Knorpeln, Sehnen, Bändern, oder bei Wundheilungsstörungen oder chronischen Wunden fehlen. Es sollen weiterhin neuartige Bioreaktoren mittels intrinsischen Eigenschaften der textilen Strukturen entwickelt werden, die den Wirkmechanismus zur elektromechanischen Stimulation nutzen, um selbst in hochkomplexen und großskaligen Zellträgerstrukturen die Zellen an jeder Stelle gleichmäßig zu stimulieren. Die mechanischen Reize gehen hierbei vom Material selbst aus. Diese materialintrinsische Stimulation stellt eine neue Methode für die optimale Zellkultivierung dar, sodass die Zellen auf den textilen Zellträgerstrukturen unter Verzicht auf extern angelegte Flüssigkeitsströmungen oder mechanische Verformungen stimuliert werden können. Damit sollen zwei anerkannte medizintechnische Probleme behoben werden: 1) Komplizierte, aufwändige und mit minimalinvasiven Verfahren schwer oder nicht zu realisierende Operationen an innenliegenden Organen, Gefäßen oder Nerven sowie 2) fehlende gewebe- und zellangepassten Stimuli zur Anregung des Wachstums seitens der bisher verwendeten Ersatzstrukturen und ‑materialien sowie derzeit verfügbarer dynamischer Zellkultursysteme.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21022 BR/1 der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Wir danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel. Darüber hinaus möchten wir den Mitgliedern des Projektbegleitenden Ausschusses für ihre Unterstützung während der Projektbearbeitung danken.

Authors: Benecke, Lukas; Aibibu, Dilbar; Cherif, Chokri

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

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29.09.2022

Nachhaltige Faserverbundlösungen: Projektvorhaben NFK Federbein

Fibres Composites Sustainability

Abstract

Der Fokus des Forschungsvorhabens liegt auf der Simulation, dem Design, der Auslegung und Herstellung eines Federbeins für ein Ultraleichtflugzeug aus Naturfasern. Das Projekt soll die Machbarkeit eines Strukturell ausgelegten Bauteils mit ausgeprägten Lastfällen aus Naturfasern unter Beweis stellen und die Nachhaltigkeit des Konzepts überprüfen.

Report

Der Markt für nachhaltige Faserverbundlösungen ist besonders interessant für kleine und mittelständische Firmen, weil die Sensibilität für das ökologische Bewusstsein und der Wunsch nach nachhaltigen und zugleich hochwertigen Lösungen in Europa und insbesondere in Deutschland im internationalen Vergleich stark ausgeprägt ist. Gleichzeitig sind Naturfaserkunststoffe derzeit noch ein Nischenmarkt und der sich von Produkten abhebt, die ausschließlich über den günstigsten Preis verkauft werden. Folglich unterliegt dieser Markt weniger der Konkurrenz- und dem Preiswettbewerb aus Niedriglohnländern, beziehungsweise Großunternehmen, die über entsprechend große Stückzahlen, Skaleneffekte realisieren.

Ziel des Projekts ist die Nutzbarmachung von naturfaserverstärktem Kunst-stoff (NFK) mit gesteigerten Dämpfungseigenschaften für Strukturbauteile am Beispiel eines Federbeins für ein Ultraleichtflugzeug. Hierdurch soll eine ökologische Alternative zu konventionellem Leichtbaumaterial, wie Aluminium und Verbundwerkstoffen auf Basis von Glas- und Carbonfasern, bereitgestellt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, gliedert sich das Projekt in die Teilschritte: Computergestützte Auslegung des Strukturbauteils mittels FEA-Methoden, lastfalloptimierte Fertigung des Bauteils und Validierung im Feldtest. Dies erfolgt exemplarisch anhand eines Federbeins für ein Leichtbauflugzeug der Firma Viethen.

Der im Projekt gewählter Ansatz hat ein Ziel, eine kosten- und zeiteffiziente Methode für die Entwicklung von hochbeanspruchten Leichtbauteilen aus Faserverbundwerkstoffen mit Verstärkung aus nachwachsenden Rohstoffen zu zeigen. Der Ansatz soll die Anreize für weitere Wirtschaftszweige geben, nachwachsende Rohstoffe durch abschätzbare Eigenschaften und Kostenstruktur in deren Produkten öfters zu verwenden. Darüber hinaus kann diese Projektmethode für bereits vorhandene Werkstoffkombinationen mit Verstärkung aus Glas- sowie Kohlenstofffasern angewendet werden und zu Effizienzsteigerung und Ressourcenschonung beitragen.

Projektpartner
CompDesE, Firma Viethen

Das Forschungsvorhaben NFK-Federbein (UW-01-054B) wurde am Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University (ITA), der Firma Viethen und der Firma CompDesE GmbH durchgeführt. Es wurde von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen im Sonderprogramm Umweltwirtschaft im Rahmen der Corona-Hilfe gefördert.

Authors: Santino Wist

ITA Institut für Textiltechnik an der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Strasse 1, 52074 Aachen, Deutschland

Naturfasern Strukturbauteil LCA

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28.09.2022

Filterung von Abgasen von Holzfeueröfen auf Basis neuartiger textiler Filtersysteme

Sustainability Technical Textiles Interior Textiles

Abstract

Gasförmige und vor allem partikelförmige Emissionen aus handbeschickten Holzöfen haben einen nicht unerheblichen Anteil an der Luftverschmutzung in Deutschland. Vor allem ultra-feine Rußpartikel und organische Schadstoffe wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe werden häufig in hohen Anteilen emittiert. Die Freisetzung dieser Schadstoffe hat negative toxikologische und klimatische Konsequenzen für Mensch und Umwelt. Andererseits gewinnen erneuerbare biogene Festbrennstoffe aufgrund der Knappheit fossiler Rohstoffe für die regenerative Wärmebereitstellung zunehmend an Bedeutung.

Report

In Anbetracht dieser Problemstellung forschen an der RWTH Aachen University das Institut für Textiltechnik (ITA) und das Lehr- und Forschungsgebiet Technologie der Energierohstoffe (TEER) gemeinsam mit der Skantherm GmbH & Co. KG und der Culimeta Textilglas-Technologie GmbH & Co. KG im Rahmen des FNR-Projekts „PartEX4Abholz“ an der Entwicklung eines neuen, hocheffizienten Abscheiders, der die partikelförmigen (festen und flüssigen) Emissionen aus dem Abgas von handbeschickten Holzöfen abscheidet und sequestriert. Der innovative Ansatz besteht in der Nutzung neuartiger Filtersysteme auf Basis textiler Strukturen.

Im Gegensatz zu den auf dem Markt erhältlichen E-Abscheidern erzeugt die zu entwickelnde Filterlösung nicht nur keine Rußflocken, es werden auch die groben Partikel durch das Filtersystem effizient im Filtermedium gespeichert. Außerdem wird eine hohe Abscheideleistung gegenüber flüchtigen und kondensierten organischen Substanzen erreicht. Die Herausforderung liegt dabei nicht nur in der Abscheidung der prozessimmanenten ultrafeinen (< 100 nm) Partikel durch Diffusionsabscheidung an sich, sondern vielmehr das Erreichen einer hohen und damit wirtschaftlichen Standzeit (hohe Speicherkapazität).

Unter Einsatz des neuen Filtersystems sollen die emittierten Partikel und Stäube von Holzfeueröfen gemäß dem Umweltzeichen "Der Blaue Engel" auf 15 mg/m³ reduziert werden. Mit ersten Projektergebnissen wird im ersten Quartal 2023 gerechnet.

Authors: Maryam Sodagar, M.Sc.

ITA Institut für Textiltechnik an der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Strasse 1, 52074 Aachen, Deutschland

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